Donnerstag, 25.02. – Mittwoch, 02.03.2016
Jeden Morgen stand ich um 7 auf dem Feld. Wenn ich aus dem Auto krabble ist es immer noch dunkel, weshalb das Aufstehen schwer fällt. An einem Morgen wachte ich auf und sah, dass es schon hell war. Mein Iphone verriet mir, dass es bereits nach halb 8 war. Wie eine Furie sprang ich aus dem Bett, schaufelte mein Müsli quasi „on the go“ rein und beeilte mich. Helen kam ganz gemütlich um die Ecke und sagte sie hätte mich schlafen gesehen, aber nicht wecken wollen. Mein Körper hätte den Schlaf gebraucht, so ihre Aussage. Sie fragte, ob ich denn gefrühstückt hätte, denn das sei wichtig. Ohne Frühstück lässt sie mich nicht aufs Feld.
Ich durfte mir meine Reihen aussuchen, aber weiß nicht welche „gut“ sind. So gibt es die jungen Reben die sind niedrig, die mittelalten die sind mittelhoch und die alten die sind sehr hoch. Umso mehr Blätter dran sind, desto schwieriger ist es die Trauben zu finden, aber diese sind von der Sonne geschützt und die Bündel und Trauben groß. Die ohne Blätter sind schnell geerntet, aber weniger an einem Bündel und die Trauben kleiner und teilweise schon Rosinen. Deswegen bin ich mir nicht sicher, wo ich schneller bin.
Brian fragte mich ob ich wüsste, was eine Demeter-Farm ist. Irgendwo hatte ich das schon mal gehört. Demeter ist sogar noch besser als Bio und es werden keine chemischen Stoffe oder Düngemittel verwendet. Seit Brians Vater vor vielen Jahren durch Chemikalien auf der Farm umgekommen ist, wird alles nur Natur belassen. Der Name Demeter kommt von der gleichnamigen griechischen Göttin.
Das Picken fiel mir leicht und die Zeit geht rasend schnell rum. Wenn Helen und Brian mit dem Quad kommen, wundere ich mich immer, ob es schon so weit für eine „Cuppa“ (Cup of Tea – Tasse Tee) ist. An einem Tag hatte ich richtig Muskelkater in den Oberschenkeln und täglich habe ich Rückenschmerzen, aber das ist nicht so schlimm. Manchmal haben wir unseren „Tea“ (Kaffee) im Garten, aber sehr oft auf dem Feld. Ein Mal habe ich beim zurück Laufen meine Handschuhe und Messer vergessen. Ich habs erst gemerkt als ich auf dem Feld war und durfte den gaaaanzen Weg zurück laufen. Mit Musik im Ohr picke ich immer ein bisschen schneller, aber wirklich schnell bin ich nicht. Im Schnitt schaffe ich aber meine 100 Eimer am Tag. Helen hilft mir jeden Tag. Manchmal ein paar Minuten und manchmal schon eine Stunde. Ich habe immer ein schlechtes Gewissen und sage sie soll nicht so viel arbeiten, aber weil sie schon ihr Leben lang pickt, macht sie es gerne. Obwohl sie Rentner ist, arbeitet sie sehr viel und 7 Tage die Woche. Manchmal kommt der Mechaniker Luke einfach nicht und dann hilft Helen sogar in der Werkstatt. An einem Tag an dem sie mir nicht beim Picken half, hatte ich nur 70 Eimer und das machte sie ganz traurig. Sie meinte sie weiß ja, dass ich das Geld brauche. Wir haben so tolle Gespräche beim Picken und sind uns immer gegenüber. Dann bin ich automatisch schneller, weil ich mit Helen mithalten will und sie ist sehr gut. Die Temperaturen sind mit um die 30 Grad auch sehr angenehm. Da lässt es sich gut aushalten. Nachts wird es ziemlich kühl und morgens muss ich mit einer dicken Decke am Frühstück sitzen, weil ich total friere. Die Moskitos verstechen mich total und kein Fliegenmittel will helfen. Wenigstens hats beim Picken kaum Fliegen und auch keine Bienen. Das Hemd hier habe ich von Helen bekommen, da ich keins hatte.
Ich wollte alles ganz genau wissen und ging nach Feierabend mit um die Eimer auf dem Feld einzusammeln. Brian und Helen zeigten mir, wie man die Trauben auf den „Racks“ (Gestellen) verteilt. Wir kippten die vollen Eimer da drauf und sortierten alle Blätter aus. Es hat richitig viele Bienen und man muss aufpassen nicht gestochen zu werden. Um die Racks kommt eine riesige Plastikfolie drüber und dann können die Trauben innerhalb einer Woche zu Rosinen werden.
Diese werden von einem LKW abgeholt und auf dem Markt verkauft. Manche Trauben werden als Weintrauben verkauft. Außerdem hat Brian eine eigene Internetseite erstellt auf der er auch Produkte verkauft (http://www.farmhousedirect.com.au/bdlewis/biodynamic-dried-sultanas-q6e). Er meinte aber, dass kaum jemand was bestellt wegen den zu hohen Portokosten. Die Beiden waren sehr begeistert, dass ich so viel wissen wollte. Sie sagten, dass alle Anderen immer nur ihr Geld wollen und sich für nichts interessieren.
Die beiden Hunde sind meine besten Freunde geworden. Blue wird nachts vor den alten Traktoren an eine Laufleine gemacht und soll Einbrecher abhalten. Er würde das anscheinend gut machen und ist von klein auf als Wachhund trainiert worden. In die Nähe von seiner Hütte darf keiner kommen, sonst rennt man am besten schnell um sein Leben. Umso mehr wundert es Brian und Helen, dass Blue mein bester Freund ist. Er kommt immer her und will gestreichelt werden und wenn wir auf dem Traktor sitzen, will er schmusen. Die beiden meinten dass er das außer bei Brian noch bei niemand gemacht hätte. Beide Hunde lieben Brian und folgen ihm aufs Wort. Keine Fahrt mit dem Quad verpasst der blinde Red.
Ich weiß nicht warum, aber seit ein paar Wochen habe ich keinen Hunger mehr. Dann esse ich natürlich auch nichts. Ist total praktisch, weil ich noch gar nicht einkaufen musste seit ich hier bin. Außerdem habe ich nun in fast drei Wochen nur 2$ ausgegeben, was die Reisekasse freut. Nur meine australische Oma kann das nicht sehen. Am Anfang hat sie immer noch gefragt was es bei mir zu Mittag gibt, aber mittlerweile fragt sie schon gar nicht mehr. Aus dem Garten holt sie immer 2 Nektarinen und sagt ich soll sie essen, dass ich Kraft zum Arbeiten habe. Nach der Arbeit macht sie manchmal Cracker mit Käse und Tomaten und kein Anderer darf diese essen, weil sie weiß, dass ich sonst nichts esse. Sie ist so süß und guckt immer nach mir. Mir ist das schon unangenehm. Meine Wäsche holt sie immer ab und wäscht sie und bringt mir jeden Tag Boxen wo ich mein Zeug aus dem Auto verstauen kann, macht oft Kaffee, putzt meine Schuhe und ist einfach nur total fürsorglich.
An einem warmen Abend fragte sie mich, ob ich noch Energie hätte. So machten wir einen Spaziergang zum Fluss. Der Murray River ist die Grenze zu New South Wales und stolze 2375 km lang. Er ist einer der Wasserreichsten in Australien und es gab schon oft schwere Überflutungen. Es war richtig schön dort entlang zu laufen. Einige Boote waren unterwegs und sehr viele Wohnwagen waren anzutreffen. Es ist erlaubt dort kostenlos zu campen. Außerdem gibt es eine ehemalige Trabrennbahn, einen Tennisplatz und zwei Kriegsdenkmäler. Ein Denkmal wo die Schule in Nyah war, ist Brians Vater gewidmet. Der Abend war total schön und ich lernte viel über das 400 Einwohner Dorf Nyah und Australien.
Ist der Himmel nun grau oder blau?
Brian und Helen sind total gebildet und wollen alles wissen. Sie haben ein dickes Buch über Australien und schlagen alles nach was sie nicht wissen. Weil ich erzählt habe, dass ich nach Tasmanien gehe, suchten sie mir Fähren raus, zeigten mir viele Bilder als sie dort waren, empfahlen mir Orte und vieles mehr.
Außerdem habe ich über eine Facebook-Gruppe mein Auto verkauft 😦 eigentlich gut, aber ich werde Brissie so unglaublich vermissen. So viele Erinnerungen hängen an dem Auto. Die Käufer sind auf Tasmanien und als ich heraus fand, dass die Fähre für eine Strecke fast 300$ ! kostet, sagte ich den Käufern sie müssen nach Melbourne kommen. Gut, dass sie einstimmten. Am 17.03. heißt es dann für immer: goodbye Brissie !
Brian und Luke machten dann einen Service und das RWC (wie TÜV). Alles war gut und nur die Antriebswelle war kaputt, was mich fast 300$ kostete. Da muss ich fast 300 Eimer dafür pflücken 😀 Selbst Abends sehe ich überall Trauben und träume schon davon. Ich werde langsam verrückt.
An einem Abend sind wir in die nächst größere Ortschaft Swan Hill (Schwanenhügel) gefahren. Die Beiden haben mich zum Essen eingeladen, was mir sehr unangenehm war. Sie haben selbst kein Geld und sparen an jedem Ende. Sogar das Haus ist sehr alt und total baufällig. Das fällt bestimmt bald in sich zusammen. Auch Urlaub können sie sich nicht leisten, dabei würden sie so gerne reisen. Nächstes Jahr wollen sie nicht mal mehr Trauben anbauen, weil es sich gar nicht lohnt. Die Förderungen vom Staat lassen sehr nach in der Farmindustrie. Wir hatten ein leckeres Abendessen und als ich mir den Rest einpacken lassen wollte, sagten die im Restaurant mir, dass das aus hygienischen Gründen nicht gehe. Hab ich jetzt auch noch nie gehört.
Nach dem Essen und Einkaufen fuhren wir zu einem von Helens Söhnen. Er hat mit seiner Frau und den Kindern eine Kuhfarm. Der junge Labrador begrüßte mich freundlich und außerdem haben sie eine Katze, Krabben und eine Blindschleiche. Die Familie ist super lieb und wir blieben eine Weile. Bei einer Tochter von Helen stellten wir eine Box Trauben vor die Tür.
Und wenn in Zukunft jemand Trauben oder Rosinen von Australien isst oder australischen Wein trinkt, bitte genießt es. Vielleicht stand ich auf dem Feld und habe die Trauben liebevoll gepflückt 🙂
So waren also die ersten Tage vom Fruitpicking.
Und wenn sie nicht verzweifelt sind, dann picken sie noch heute…
Nadine